Gepfeffertes - Sprache gut gewürzt

Es wirkt das Wort in Ohr und Seele

Was tun, wenn außer einer blauen Tür am Hauseingang kaum Farbe im Leben ist? Es brauchte neue Ziele im Leben des Trevor Shackleton. Vielleicht war das Builders Arms nicht gerade der ideale Ort für eine Suche danach. Aber definitiv ein Anfang!


The Croydon Muzzles


Geschichtenbild zu Foto: Christian Steinkrüger

Trevor Shackleton wollte der coolste Hund Britanniens sein. Nein, werden. Und dann eine Weile bleiben. Es schien ihm der einzige Ausweg aus der Eintönigkeit der Lebanon Road, die sich wie eine Reihe Maschen vom Builders Arms Pub zur Tram Station zwischen die anderen eines grauen Pullovers legte. Hier, wo London so nah war und der Puls des Lebens doch deutlich schwächer schlug, fühlte sich die eigene Bedeutung an wie eine der Fliegen, die Sam Porter am Fenster seiner Kneipe erschlug. Trevor klebte fest. Im Alltag, in Croydon, an sich selbst. Die Arbeitervorstadt im Süden der Tower Bridge kämpfte seit ewiger Zeit um eine eigenständige Note und er hatte sich ihr angepasst. Mehr als die blaue Tür mit der Nummer 186 war dabei aber nicht herausgekommen, obwohl im April 1963 in den Fairfield Halls sogar die Beatles Weltruhm vorbei brachten.

 

Nichts deutete einige Monate zuvor darauf hin, dass Trevor das Grau seines Alltags abstreifen und ein richtiger Mann werden würde. Absolut nichts. Bis zu dem Tag, an dem er Morton Carlisle kennenlernte. Und Patricia.

 

***

 

„Ein Chiswick, bitte.“ Das Builders Arms war noch spärlich besetzt, Trevor hob nur dezent zwei Finger.

„Trinkst du kein Bier, wenn du in den Pub gehst?“

Trevor drehte den Kopf in die Richtung, aus der die rauchige Stimme zu ihm rollte.

„Was ist denn Chiswick deiner Meinung nach?“, fragte er.

Der Typ an der Ecke der Theke nippte an seinem London Pride.

„Das hier ist Bier. Bernsteinfarbe, grobe Poren im Schaum, stolzer Körper, griffig im Abgang. Genau wie auch ein Mann sein muss.“

„Du kennst dich ja offenbar aus.“

Trevor griff das Bitter und prostete dem echten Mann einige Yards weiter zu.

„Es macht nicht viel, das Zeug, ja, aber das, was es machen soll, macht es gut. Zum Wohl!“

Stumm nickte der andere und spülte sich einen weiteren Schluck unter den Gaumen.

„Morton. Morton Carlisle. Erster Vorsitzender der Croydon Muzzles. Wieso hab ich dich hier noch nie gesehen?“

 

Das Gespräch entwickelte sich, der Kampf zwischen dem Ale und dem Bitter endete an diesem Abend unentschieden. Wie in den folgenden Wochen häufiger. Trevor floh vor dem schlechter werdenden Absatz in seiner Vauxhall-Filiale und betankte sich mit Leichtbier. Was Morton beruflich machte, blieb im Dunkel, es schien, als genüge er sich in der Rolle des Chefs dieser Burschenschaft. Weitere Mitglieder ließen sich erst einmal nicht blicken, genauso wenig war erkennbar, weshalb ein solcher Verein sich den Namen „Hundeschnauzen“ verpasst. Doch das änderte sich. Obwohl sie in der Wahl der Biersorte keine Einigkeit erzielen konnten, weil Morton alles unter vier Volumenprozent als Weibergesöff verurteilte.

„Pussyswill, auch wenn es herb ist, das geb ich schon zu.“

„Immerhin das. Aber warum eigentlich Hundeschnauzen?“

„Muzzles sind immer kühl. Sie brauchen nicht viel sagen, manchmal nur knurren. Wir sind coole Schnauzen, kapierst du?“

„Und was ist so euer Vereinszweck?“

„Na, cool sein halt. Und ab und zu einen Ausflug zusammen machen.“

„Ah, verstehe. Städtetouren, ein Trip an die Südküste, Wandern und so was.“

„Quatsch, ins Windmill oder ins Crown & Pepper.“

„Glatt ein paar Straßen weiter in andere Pubs? Ihr seid ja wild drauf.“

„Sag ich doch. Cool eben. Willst du dabei sein?“

 

Trevor unterdrückte den Reflex der Ablehnung. Er war nirgendwo Mitglied, nicht im Sportverein, nicht im Bücherklub, nicht mal beim Punktesammeln im Supermarkt. Und jetzt diese Frage. Er antwortete nicht, tauchte ab in sein Chiswick und ging Morton danach einige Tage aus dem Weg. Er war Autoverkäufer. Erfolgloser Autoverkäufer. Und hatte trotzdem in seiner Filiale Patricia kennengelernt. Gegen jede Unternehmensphilosophie war er mit ihr nicht nur ins Kino, sondern auch zu einem japanischen Händler in Dartford gegangen. Patsy, wie er sie schon vertraut nannte, war drauf und dran, sich nicht nur für einen Toyota, sondern auch für ihn zu entscheiden, hatte sich aber noch etwas Bedenkzeit erbeten. Sie ließ beide zappeln. Endlich eine Blume in seinem Leben, die die blaue Tür an seinem Haus in den Hintergrund treten lassen könnte, doch musste er sich in Geduld üben und das Pflänzchen der Zuneigung mit Fingerspitzengefühl gießen.

 

Das Warten wurde ihm lang und als er in der Woche darauf wieder im Builders Arms aufschlug, war der Präsident das erste Mal nicht allein. Sieben weitere Herren scharten sich um ihn.

„Wir beraten gerade deine Aufnahmeprüfung.“ Morton grinste in die Runde.

„Klingt, als müsste ich gleich auch alle meine Sünden in der Zukunft büßen.“ Trevor gab dem Barkeeper ein Zeichen.

„Teil 1 der Prüfung ist übrigens, dass du ab sofort anständiges Bier trinkst. Sam, mach ihm ein Pride.“

Zwar gab es noch ein wenig Hin und Her, ein bisschen Unschlüssigkeit, ob er wirklich sollte, aber die Jahrtausende alten Mechanismen männlicher Urtriebe in Kleingruppen bei gleichzeitiger Abwesenheit regelnd eingreifender Weiblichkeit ließen nichts anderes zu. Das Aufnahmeverfahren war eröffnet! Als Prüfungstag wurde der kommende Samstag festgelegt, an dem Trevor frei hatte. Das Komitee trat um 12 Uhr zur Verkündung der Aufgabe im Builders Arms zusammen.

 

***

 

„Trevor Shackleton, du begehrst die Mitgliedschaft in der Burschenschaft der Croydon Muzzles, demnach hast du folgende Prüfung zu bestehen.“

Morton Carlisle nahm einen selbst für diese Uhrzeit ungewöhnlich kleinen Schluck London Pride und ließ seinem Stolz als Präsident vollen Lauf.

„Also, in den heutigen Nachmittagsstunden wirst du im Whitgift Shopping Centre Passanten um Geld für die Parkuhr bitten. Du wirst vorgeben, sonst deinen Friseurtermin zu verpassen, ohne den du unmöglich am Abend ins Ballett gehen könntest. Die ganze Aktion über wirst du die Kleidung tragen, die wir im Nebenraum für dich bereitgelegt haben.“

Trevor wagte während der Verkündung nicht, zu atmen. Als er den Kopf in Richtung Tür drehte, ließ er wieder Sauerstoffmoleküle in die Lunge.

„Kleidung? Was für Kleidung?“

„Das wirst du gleich schon sehen. Jetzt trinken wir dir gemeinsam Mut an. Sam, ... neun Pride bitte!“

 

Nach einer Doppelportion flüssigen Stolzes gab Morton das Startsignal für den Nebenraum. Die Blicke der Jungs folgten Trevor erwartungsvoll, der wie ein Schuljunge ins Zimmer lugte, wenn er zum ersten Mal in seine neue Klasse kommt. Er schloss die Tür hinter sich. Im Pub herrschte absolute Stille. Kein Muzzle, der nicht ein Loch durch die Wand zu hören versuchte. Langsam, zermürbend langsam drehte sich der Knauf. Trevor kam zurück, ging stumm an die Theke und setzte sich auf seinen Hocker.

„Sam?“

Der Wirt hielt in der Bewegung beim Gläserpolieren inne.

„Trevor?“

„Dir ist bewusst, was für Gäste das hinter mir sind?“

„Oh, ja ... klar.“ Einem glucksenden Lachen folgte ein versonnener Blick auf die Phalanx der Zapfhähne. „Ich hab schon öfter überlegt, ob ich manche hierbehalten muss, weil sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind. Aber wenn man ihnen ein paar Erdnüsse gibt, dann werden die meisten wieder friedlich.“

„Hast du eine Ahnung, was die Typen hier mit mir vorhaben?“

„Natürlich, jeder Muzzle musste irgendeine Aufgabe bestehen.“

„Auch in so einem Fummel?“

„Selbst das kam vor. Wenn du dich gut schlägst, kriegst du danach ein paar Erdnüsse.“

Im Grinsen des Wirtes lag für Trevor wenig, das ihm das Bevorstehende erleichterte.

 

Anderthalb Stunden später stand er in einer rosa Strumpfhose, einem gelben Blazer und einem türkisfarbenen Plastikgürtel in der Haupthalle des Whitgift Shopping Centre und machte sich zum Affen. Die Sonnenbrille, die er für den mikroskopischen Rest seiner Würde erbeten hatte, wurde vom Komitee gnadenlos abgelehnt. Sie würde nicht mit dem grünen Halstuch harmonieren, sagte Morton, um zwischen sein blechernes Lachen und eine wegwerfende Handbewegung einen Rülpser zu platzieren, wie ihn das Builders Arms lange nicht erlebt hatte.

 

Trevor stellte allerdings erleichtert fest, dass es in England vermutlich doch einfacher war, in so einem Outfit um Kleingeld zu bitten, als das auf dem Kontinent der Fall sein dürfte. Spleens belohnte man mit britischer Gelassenheit und dem Sammler fielen reichlich Pence zu. Eine betagte Dame gab ihm gar eine Fünf-Pfund-Note. Nachdem sie sie aus der Geldbörse gezittert hatte, fragte er, womit er das verdient habe.

„Nun, junger Mann, in meinem Alter bekommt man nicht mehr so oft primäre Geschlechtsmerkmale in derart kräftigen Farben präsentiert.“

Es kostete ihn einige Minuten, diese Antwort zu verdauen und den Geldschein nicht als Sichtschutz vorne in die Strumpfhose einzulegen.

 

Als er gefühlt die 20-Pfund-Grenze überschritten hatte und die Jungs, die ihn wie Security beaufsichtigten, gerade fragen wollte, wann denn Schluss sei, stockte ihm der Atem. Eine zierliche Frau stöckelte auf ihn zu, ihr Lächeln verhieß irgendetwas zwischen Angriff und Mitleid.

„Hi Trevor, haben sie bei Marks & Spencer Ausverkauf oder haben die Farb- und Typberaterinnen von Douglas an dir ein Exempel statuiert?“

Der Muzzle-Prüfling zog instinktiv den Blazer vor den Schritt und brach sichtlich in Schweiß aus.

„Du solltest ganz in Gelb gehen, dann siehst du bei deinem Kopf aus wie ein Streichholz“, legte sie nach.

„Patsy, ... ich ... es ...“

„Ja, ich weiß, es ist nicht das, wonach es aussieht. Schon klar. Komm, wir gehen dir jetzt erst mal was zum Anziehen einkaufen.“

 

***

 

Ein Chiswick- und ein Pride-Glas klirrten aneinander.

„Trevor, die Nummer war echt geschichtsreif.“

„Was genau meinst du, Morton?“

„Na, dass hier einer unseren Prüfungsfummel um Overknees in Größe 45 erweitert.“

„Patsy hat halt Stil.“

„Wie findet sie eigentlich, dass du jetzt ein Muzzle bist?“

„Ich hab es ihr noch nicht gesagt, wofür das Ganze gut war. Ich denke, für den Moment, wenn ich es tue, sollte ich ein paar Erdnüsse im Haus haben.“

 

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