Gepfeffertes - Sprache gut gewürzt

Es wirkt das Wort in Ohr und Seele

Es gibt unter den Schreiberlingen die Planschreiber und die Bauchschreiber. Zur nachfolgenden Geschichte hatte ich wirklich nur den allerersten Satz. Alles, was daraus wurde und danach folgte war schlicht und ergreifend ... ein Naturereignis. Unplanbar!


Die Drüsen einer Weltreligion

 

Es war der 19. März, an dem Hans-Hubert Bornschein, 43, kaufmännischer Angestellter einer Reifenfirma, für alle unerwartet beschloss, Sektenführer zu werden. Wobei „beschloss“ vielleicht der falsche Ausdruck ist, denn gewisse Zweifel an intrinsischer Motivation bleiben für Handlungen, die am Ende eines Abends mit sechs Bier und fünf Schnäpsen stehen. Ein Schnaps fehlte, weil Hans-Hubert sich partout weigerte, mit der Kröning aus der Terminvergabe Brüderschaft zu trinken.

 

Geschichtenbild zu Bild: Arno Thelen, 2018

Auf dem Heimweg schaute er noch in der Firma vorbei, um seine vergessene Tasche zu holen. Doch bis dahin kam er nicht. Von einem brennengelassenen Licht in der Reparaturwerkstatt angelockt, erlag er auf deren Boden den äußeren Umständen, oder anders gesagt: einer fatalen Mischung aus Alkohol und Gummiduft. Er erreichte in halbwegs stabil wirkender Seitenlage in eine Art finale Parkposition. Nur kurz darauf erschien schräg über ihm eine wohlproportionierte Figur. Hans-Hubert prüfte mehrfach ungeschickt den Sitz seiner Brille und versuchte, einen neben ihm am Boden liegenden 17er-Schlüssel zu fokussieren, aber ein einheitliches Bild wollte ihm nicht gelingen. Ermattet rollte er sich auf den Rücken, hoffte dadurch insgeheim auf eine Verbesserung seiner Lage, als sich die Erscheinung über ihn beugte. Ihr Blick trug Spuren von Freundlichkeit, wirkte aber eher resolut. Herr Bornschein nahm im Rahmen seiner Möglichkeiten im Liegen Haltung an und unterbrach die Atmung. Sie bemerkte offenbar seine Empfangsbereitschaft, stellte sich ihm als Lady Boobs vor und ernannte ihn ohne weitere Erläuterungen zum Ersten Jünger der ‚Bewegung zur Rückkehr an den Busen der Natur‘. Und hiermit zu ihrem Stellvertreter auf Erden.

 

Hans-Hubert erkannte umgehend seine Chance, endlich außerhalb der Reifenfirma Profil zu entwickeln, allerdings auch, dass es nicht leicht werden würde. Lady Boobs erteilte ihm auf dem Boden der Reparaturwerkstatt den Auftrag, zunächst die Rahmenbedingungen für eine schrittweise Entfaltung zur Weltreligion zu schaffen und als Sektenführer notwendige Finanzmittel aufzubauen. Recht bald sollte sich zeigen, dass gewisse Widerstände zu überwinden waren.

 

Er schlief daheim seinen Rausch aus und eine weitere Nacht drüber. Am 21. März offenbarte der frisch Inkarnierte beim Abendessen mit der Gattin seine Pläne, zwei der drei ehelichen Sparpläne zu kündigen. 

 

„Wofür brauchst du das Geld?“ Eleonore Bornschein trommelte mit den Fingern auf den Küchentisch.

„Ich werde ... Sektenführer und benötige ein Startkapital.“

„Sektenführer, ... so so.“

„Ich weiß, das klingt ein wenig ...“

„Irre, ja. Schon recht. Wer hat dir diesen Furz ins Hirn gesetzt?“

Hans-Hubert zögerte sichtlich, die Urheberschaft des Gedankens und die Begleitumstände preiszugeben.

„Sie heißt ...“ 

„Sie?“ Eleonores Augen verengten sich.

„Ja, sie ist mir erschienen. Auf dem Boden. Und mit einem Mal war sie über mir.“

„Sie war über dir?“

Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihm die unglücklich gewählte Formulierung ins Hirn stach. Seine Frau ging aus dem Sattel.

„Etwa die Kröning aus der Terminvergabe? Diese widerliche Schnepfe hat sich auf dich geworfen?“

„Nein, nicht die Kröning.“

Die bebenden Lippen der Gattin gaben der Wahrheit keine Chance. Der echte Name der Dame über ihm würde jetzt auch wenig helfen, dachte Hans-Hubert.

„Ach, vielleicht die Tusse vom Empfang, diese ... diese ...“

„Beckemeyer. Nein, die auch nicht. Niemand von der Arbeit.“

Immerhin sorgte diese Tatsache für eine kurze Pause. Dass ihr Mann in der Firma mit einer Betriebsfremden auf dem Boden ... das war zu viel für Eleonore. Sie setzte sich und starrte in die Luft.

Hans-Hubert fasste den Entschluss, erst einmal mit seinem neuen Titel zu beginnen.

„Ich bin ein Jünger seit vorgestern. Wirklich, ich wusste es ja selbst nicht, dass es so kommen würde. Ihr Stellvertreter auf Erden bin ich nun, ernannt, um die ‚Bewegung zurück zum Busen der Natur‘ zu voller Blüte zu bringen.“

Eleonores Augen führten einen Neustart durch, schafften Platz für den Ausdruck von Grimmigkeit. Die Lippen wurden schmaler, formten ein angedeutetes O, der Kopf drehte sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit, rastete vis-a-vis ihres Gatten ein.

„Busen der Natur?“ Im U von Busen lag ein deutliches Ausatmen.

„Ich weiß auch noch nicht, was das genau für eine Bewegung werden wird. Im ersten Schritt soll ich als Sektenführer die finanziellen Rahmenbedingungen schaffen.“

„Busen der Natur?“ Jetzt wurden beide U betont.

„Es klingt verrückt, ja, aber es war so magisch. Ich ... ich kann nicht anders.“

„Magisch?“ Mit aufgestützten Händen schwebte Eleonores Sitzfläche über dem Stuhl.

Hans-Hubert spielte mit den Beschwerungsbömmeln der Tischdecke und wich ihren Blicken aus.

„Und wie ist nun der Name deiner neuen Chefin?“

„Lady Boobs“, murmelte er.

Frau Bornschein sank zurück auf den Stuhl und lehnte sich an.

„Lady Boobs und der Busen der Natur ... was auch sonst.“ Eleonore schüttelte den Kopf und wäre er dazu in der Lage gewesen, hätte Hans-Hubert den Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht erkennen können. „Daraus wird leider nichts.“

 

Die nachfolgende Unterhaltung nahm für den frischgebackenen Jünger eine unerwartete Wendung. Statt sich auf den Alkoholkonsum an jenem Abend zu stürzen und ihm dafür die Ohren lang zu ziehen, sah seine treu sorgende Ehefrau in erster Linie bürokratische und praktische Hemmnisse für die Gründung der Sekte. Mindestens die Rechtsform einer GmbH müsse es sein und ob er denn eine Ahnung hätte, welche Schritte da zu gehen seien. Wie er sich denn die Gewerbeanmeldung so vorstelle, wollte sie wissen und wie er bei Spendensammlungen von seiner Hauptgöttin sprechen wolle. Irgendwann würde er ihren Namen erwähnen müssen. Selbst sie, seine Frau, sei ja anfänglich von eher fragwürdigen Motiven bei ihm ausgegangen, bis sie verstanden hätte, um was es gehe. Und da es für den ersten Eindruck keine zweite Chance gebe, käme es schon ein bisschen darauf an, was für ein Bild man in der Öffentlichkeit abgebe.

 

Überhaupt ... das Bild. So eine Sekte bräuchte ein Logo. Was solle das zeigen? Eine Titte mit Aura drumherum? Die freizügige Abbildung der Glaubensgründerin? Mit welchen Symbolen würde wohl eine Prozession abgehalten? Was stünde auf einem Altar oder hinge gar darüber? Es waren solch praktische Fragen, die Hans-Hubert zeigten, dass auf dem Weg zum wahren Jünger noch das ein oder andere Problem zu lösen wäre.

 

„Und was ist eigentlich mit Devotionalien? Hast du darüber schon nachgedacht?“

„Devo ... was?“ Hans-Hubert zeigte sich irritiert.

„Fan-Artikel halt. Schlüsselanhänger, Kugelschreiber, Maus-Pads, Flaschenöffner, Kappen, Pullis, Jacken, Bierdeckel, Schneekugeln, ... die ganze Palette. Alles mit Natur drauf? Oder doch lieber mit Busen? Ich glaube, fürs Marketing solltest du auf Letzteres setzen.“

„Das kann aber leicht zu Missverständnissen führen.“

„Ach?“, gab seine Frau zurück. „Wie ist das eigentlich mit einer Rücksprache bei der Chefin? Hat Lady Boobs mal durchblicken lassen, wann sie Zeit für die nächste Erscheinung findet? Oder musst du dafür erst wieder besoffen in der Reparaturwerkstatt auf den Rücken fallen?“

Hans-Hubert meinte eine Andeutung von Sarkasmus in den Worten seiner Gattin zu entdecken.

„Und was ist eigentlich, wenn ihr überall Möpse draufdruckt und deine Lady kommt in die Jahre? Wenn in eurem neugebauten Tempel eine formschöne Brust über dem Altar schwebt, so weit, so gut. Aber da solltet ihr noch was Platz nach unten lassen. Göttin hin, Göttin her, die verliert auch irgendwann an Spannkraft.“

Aus der Andeutung war Gewissheit geworden.

 

Herr Bornschein zweifelte plötzlich an der Unterstützung im eigenen Hause. Die Alterungsfrage drückte die ganze Bewegung förmlich zu Boden. Dorthin, wo alles begann. Doch so schnell wollte er nicht aufgeben. Die fehlende Rücksprachemöglichkeit mit Lady Boobs plante er durch ein kurzfristiges Treffen mit seinem alten Schulfreund Reinhard Jacubasch zu ersetzen. Der war zwar in Fragen der Entwicklung weiblicher Anatomie ebenso wenig bewandert, wie er selbst, besaß aber durchaus anderweitig Lebenserfahrung. Und in jedem Fall erhoffte er sich von Reinhard eine angemessene Ernsthaftigkeit. Man verabredete sich im ‚Goldenen Ochsen‘ zu einem Tagesabschluss-Bier. Hans-Hubert ließ seine Frau wissen, dass er noch mal für eine halbe Stunde ‚ums Eck‘ sei. Sie ließ ihn mit einem vielsagenden Lächeln ziehen.

 

„Du willst was werden?“

„Sektenführer! Hörst du schlecht? Ich bin so ne Art Geschäftsführer der ‚Bewegung zurück zum Busen der Natur‘. Als ich vorgestern Abend nach dem Betriebsausflug noch mal in die Firma bin, da ist mir auf dem Boden der Reparaturwerkstatt Lady Boobs erschienen und hat mich zum Ersten Jünger ernannt.“

„Klar, so was passiert.“

Reinhard schaute Hans-Hubert noch eine Weile an und dann in sein Glas.

„Kalle? Komm mal rüber.“ Der Wirt nickte und war kurz darauf zur Stelle.

„Ich ernenne dich hiermit zum Ersten Jünger des Ordens der Hopfianer und Malziner.“

Kalle verzog keine Miene, stellte nur Sekunden später zwei Klare auf die Theke.

„Hier, davon geht dat weg, egal wie eure Krankheit heißt.“

Reinhard nickte dem Kneipier zu und prostete dann in Richtung Hans-Hubert.

„Auf deine Gesundheit! Und ich hab es noch nie so ernst gemeint.“

„Du verstehst mich nicht Reinhard. Das ist kein Spaß! Ich hatte eine Erscheinung. Sowas sucht man sich nicht aus!“

„Nach deinem Pensum von der Betriebsfeier kann das mit so ner Erscheinung schon mal vorkommen. Mach dir nix draus.“

Hans-Hubert berichtete vom Austausch mit seiner Frau, von rechtlichen und praktischen Problemen in der Startphase so einer Sekte und er konnte nicht einmal abstreiten, dass er seiner Gattin in vielen Punkten recht geben musste.

„Sehr schwierig ist, dass ich nicht weiß, wann Lady Boobs mir das nächste Mal erscheint. Ich würde gerne mit ihr das ein oder andere klären.“

„Wenn du testweise in der Reparaturwerkstatt auf die Knie gehst, dann sieh aber zu, dass du alleine bist. Das könnte sonst irgendwie falsch rüberkommen.“

„Sie muss doch auch anderswo erscheinen können, als nur auf der Arbeit, oder? Und vielleicht bleibt es ja auch nur bei diesem einen Mal und ich muss als Erster Jünger halt sehen, wie ich zurechtkomme.“

„Das kann schon sein. Da kann aber weder ich dir bei helfen noch deine Eleonore. So was musste dann allein durchziehen. Kalle? Noch zwei für auf’n Weg!“

 

Hans-Hubert Bornschein, 43, kaufmännischer Angestellter einer Reifenfirma, durchlebte eine schwierige Nacht. Die Ehre der Ernennung zum Ersten Jünger drückte auf seine schmalen Schultern. Ebenso wie die praktischen Probleme mit der Sektengründung. Im Traum erschienen ihm Lady Boobs und seine Ehefrau. Beide konkurrierten mit gewaltigen, freischwingenden Konstruktionen um seine Gunst, kamen ihm dabei immer näher. In dem Moment, als die Brüste der Damen seinen Kopf vollständig umschlossen hatten, wachte er auf.

 

Am 22. März ging er einfach wieder auf die Arbeit. In der Eingangshalle saß die Kröning von der Terminvergabe in einem sehr weit ausgeschnittenen Kleid. Hans-Hubert erschrak, flüchtete vorbei an der Reparaturwerkstatt in sein Büro, aber die Kollegin folgte ihm. Nur Minuten später schlüpfte sie zur Tür herein, zog unter Kichern ein Pikkolo und zwei Gläser aus der Handtasche hervor.

„Sie wollten ja vor drei Tagen nicht mit mir Brüderschaft trinken. Das sollten wir nachholen. Ich habe vorgesorgt und zwei Pikkolöchen kaltgestellt. Ist 17 Uhr ok?“
Er nahm es mit Fassung. Es gab wohl kein Entrinnen.

Sie lehnte sich weit vor und gab einen tiefen Blick preis.

„Ich bin übrigens die Burghild. Mein Spitzname ist Bubi. Ich weiß, sehr altmodisch. Kannst du aber trotzdem gern zu mir sagen.“

Mit zitternder Stimme antwortete er: „Hans ... Hans-Hu...“

Weiter kam er nicht.

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